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Format
Analyse
Date
12. November 2025

Startschuss für grüne Leitmärkte

Wie die Infrastrukturoffensive den Hochlauf von grünem Stahl und Zement beschleunigen kann

Zusammenfassung

Deutschland steht vor einer doppelten Herausforderung: Es will die Modernisierung seiner Infrastruktur und die Transformation hin zu klimaneutraler Industrie umsetzen. Mit dem Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität“ sind die finanziellen Grundlagen für eine umfassende Modernisierung geschaffen. Die Sanierung der Brücken- und Schieneninfrastruktur nimmt dabei eine zentrale Rolle ein und erfordert enorme Mengen an Stahl und Beton. Für diese Investitionen sind in dieser Legislaturperiode insgesamt 82 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen vorgesehen. Die Investitionen bieten die Chance, nicht nur die Infrastruktur zu modernisieren, sondern auch die Nachfrage nach klimafreundlichen Grundstoffen zu stärken. Das geplante Vergabebeschleunigungsgesetz ermöglicht dafür den entscheidenden Hebel, indem es die Einführung verbindlicher CO₂-Kriterien bei öffentlichen Aufträgen ermöglicht. Das kann den Einsatz von grünem Stahl und Zement bei der Sanierung von Schienen und Brücken fördern.

Verbindliche Umweltkriterien in der öffentlichen Beschaffung sind somit ein Schlüssel für die Transformation der Industrie. Sie schaffen Leitmärkte für klimafreundliche Grundstoffe und damit eine verlässliche Nachfrage für Stahl- und Zementhersteller, die in die Transformation ihrer Anlagenparks investieren. So wird die geplante Infrastrukturoffensive auch ein Treiber für die industrielle Transformation. Etablierte Branchenlabels wie LESS (Low Emission Steel Standard) für Stahl und CCC (Cement Carbon Class) bzw. CSC (Concrete Sustainability Council) für Beton erleichtern die Umsetzung, da sie klare Standards für die Reduktion von Treibhausgasen, die bei der Produktion anfallen, definieren. Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWE) sollte diese Standards im Rahmen des Vergabebeschleunigungsgesetzes verbindlich festlegen. Laut der Analyse können deutsche und europäische Hersteller die aktuelle Nachfrage nach Schienen schon heute aus Stahl der LESS-Klasse C decken, für dessen Produktion 70 Prozent weniger Treibhausgase anfallen als bei herkömmlichem Stahl. Für die Sanierung von Brücken kann die Nachfrage aus Zement des Cement Carbon Class-Label Klasse C gedeckt werden, der rund 30 Prozent weniger Treibhausgase in der Produktion verursacht. Ab 2030 können dann schrittweise ambitioniertere Quoten und höhere Standards eingeführt werden, um den Transformationspfad konsequent fortzusetzen: Für Schienen etwa Stahl der LESS-Klasse B, sowie eine Quote von 20 Prozent für Stahl der LESS-Klasse A. Für die Brückeninfrastruktur sollte ab 2030 das CSC-Level 3 und die LESS-Klasse A verbindlich sein, sowie eine 10-prozentige Quote für CCC-Klasse „Near Zero“ gelten. 

Um Märkte für grünen Stahl und Zement auch in der Breite zu skalieren, muss der europäische Binnenmarkt strategisch genutzt werden. Nationale Leitmärkte sind ein erster Schritt, doch für Technologien wie wasserstoffbasierte Stahlproduktion braucht es eine belastbare Nachfrage aus großen Sektoren wie der Automobilindustrie, dem Maschinen- und Hochbau. Europäische Produktstandards können hier entscheidend sein: Sie schaffen Planungssicherheit, harmonisieren Anforderungen und ermöglichen Skaleneffekte. So wird die Modernisierung der Infrastruktur zum Motor für eine klimaneutrale Industrie – und stärkt zugleich die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland und Europa.

Kernergebnisse

  1. Deutschland packt die Modernisierung seiner Infrastruktur an: massive Investitionen und große Volumen an Stahl und Beton werden über das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität mobilisiert, um marode Brücken und Schienen zu erneuern.

    Die Reform des Vergaberechts bietet die Möglichkeit, durch öffentliche Aufträge die Nachfrage grünem Stahl und Zement zu schaffen und damit den Zugang der Industrie zu Zukunftsmärkten zu stärken.

  2. Durch verbindliche CO₂-Kriterien kann die geplante Infrastrukturoffensive auch auf die klimaneutrale Modernisierung der Industrie einzahlen.

    Insbesondere in der öffentlichen Vergabe können solche Vorgaben Leitmärkte etablieren und so die klimaneutrale Transformation der Industrie unterstützen. Für Stahl- und Zementhersteller entsteht so eine sichere Nachfrage für grüne Grundstoffe und ermöglicht damit kosteneffizient einen klimaneutralen Business Case.

  3. Etablierte Branchenlabels für Stahl und Zement ermöglichen bürokratiearme Umsetzbarkeit.

    Die Verordnungsermächtigung im Rahmen des Vergabe-beschleunigungsgesetzes sollte verbindliche CO₂-Mindeststandards festlegen: für die Schiene sollte Stahl der LESS-Labelklasse C, für die Brückeninfrastruktur sollten Beton nach CSC-Level 1 und Stahl nach LESS-Klasse B eingesetzt werden. Ab 2030 sollten ambitioniertere Standards und Quoten gelten.  

  4. Um Märkte für klimafreundlichen Stahl und Zement in der Breite zu skalieren, sollte der europäische Binnenmarkt strategisch genutzt werden.

    Insbesondere für die wasserstoffbasierte Stahlproduktion braucht es zügig eine belastbare Nachfrage nach grünem Primärstahl aus großen Sektoren wie der Automobilbranche, dem Hoch- und Maschinenbau. Europäische Produktstandards können dabei eine zentrale Rolle spielen, indem sie strategisch auf die Transformation einzahlen.

1. Das Sondervermögen: Investitionen in Infrastruktur und Leitmärkte

Leitmärkte für klimafreundliche Grundstoffe können einen entscheidenden Beitrag zur industriellen Transformation leisten, indem sie einen Business-Case für emissionsarme Geschäftsmodelle stärken. Durch gezielte Nachfrage nach emissionsarmen Produkten entsteht ein verlässlicher Markt für klimafreundlichen Stahl und Zement. Dies hilft, die Kostenlücke zwischen grüner und konventioneller Produktion zu überbrücken und wirtschaftliche Anreize für Investitionen in nachhaltige Technologien zu schaffen. 

Das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität (SVIK) bietet eine einmalige Möglichkeit für den Aufbau grüner Leitmärkte in der deutschen und europäischen Grundstoffindustrie. Es ist auf zwölf Jahre angelegt und soll von 2025 bis 2036 Investitionen von 500 Milliarden Euro ermöglichen, 300 Milliarden Euro sind für Investitionen des Bundes vorgesehen. Von 2025 bis 2029 stehen laut Gesetzesentwurf für das Haushaltsgesetz 2026 hiervon wiederum 93,3 Milliarden Euro für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur bereit.  

Damit das SVIK als Investitionsoffensive zu einer klimafreundlichen Modernisierung der Infrastruktur beitragen kann, ist eine zweckgerichtete und zusätzliche Verwendung der Gelder erforderlich. Bislang zeichnet sich jedoch eine Verschiebung ohnehin geplanter Investitionen und konsumtiver Ausgaben aus dem Haushalt in das Sondervermögen ab, zudem fehlt eine langfristige Planung der Mittel.   

Sondervermögen Infrastruktur und Klimaschutz

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Fortsetzung: Das Sondervermögen: Investitionen in Infrastruktur und Leitmärkte

Aufgrund ihrer klaren Fokussierung und der Höhe der laut Wirtschaftsplan des Sondervermögens ausgewiesenen Mittel sind zwei Titelgruppen des Sondervermögens für den Aufbau von Leitmärkten besonders relevant: die Schienen- und die Brückeninfrastruktur. Für diese Bereiche sind von 2025 bis 2029 insgesamt etwa 82 Mrd. Euro eingeplant (Berechnung durch Dezernat Zukunft).  

Diese Investitionen sollten als Ankerpunkte für den Aufbau von Leitmärkten für CO2-armen Beton und Stahl dienen. So kann die Bundesregierung das im Koalitionsvertrag verankerte Ziel grüner Leitmärkte bedienen und zugleich den Hochlauf der CO2-Infrastruktur durch verlässliche Nachfrage stärken. Weitere potenzielle Ankerpunkte könnten sich zudem durch den Hochbau sowie durch Investitionen aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) und aus Zuweisungen an die Länder und Kommunen ergeben.  

In Deutschland wurden die Label LESS (Low Emission Steel Standard) für Stahl und CCC (Cement Carbon Class) für Zement im Rahmen des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) erarbeiteten Konzepts „Leitmärkte für klimafreundliche Grundstoffe“ entwickelt. LESS klassifiziert Stahlprodukte nach ihrem CO₂-Fußabdruck und Einsatz von Stahlschrott. CCC bewertet Zemente anhand ihres CO₂-Ausstoßes in fünf Klassen – von „Near Zero“ bis Klasse D – und schafft so eine klare Orientierung für klimafreundliches Bauen. Für Betone bietet das CSC-Label (Concrete Sustainability Council) eine transparente Bewertung der ökologischen Performance. Auf diese Label gilt es bei der Umsetzung der Leitmärkte aufzubauen.  

Für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft eignen sich die im SVIK geplanten Infrastrukturinvestitionen nur bedingt. Denn im Hoch- und Tiefbau kommt primär strombasierter Sekundärstahl zum Einsatz. Für den Einsatz von wasserstoffbasiertem Primärstahl müssten Leitmärkte in anderen Endverbrauchssektoren, die auf diese Stahlarten angewiesen sind, aufgebaut werden – etwa im Automobilsektor.  

2. Stahl und Zement für Brücke und Schiene

In der deutschen Schienen- und Brückeninfrastruktur besteht erheblicher Modernisierungsbedarf: Über 50 Prozent der Brückeninfrastruktur auf Bundesebene und rund 45 Prozent der Schieneninfrastruktur in Deutschland gelten als sanierungsbedürftig (BMDV, 2022; Tagesschau, 2024). Deren Modernisierung bietet die Chance, klimafreundlichen Stahl und Zement einzusetzen und damit eine starke, verlässliche Nachfrage für Industrieunternehmen zu schaffen, und in die Transformation zu investieren. 

Die öffentliche Hand spielt dabei eine entscheidende Rolle: Rund 40.000 Brücken beziehungsweise rund 52.000 Teilbauwerke unterstehen der Bau- und Unterhaltungslast des Bundes. Über die Hälfte der Bestandsbrücken an Bundesfernstraßen wurden im Jahr 2022 als modernisierungsbedürftig eingeschätzt (BMDV, 2022). Im selben Jahr prognostizierte das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) zudem einen Modernisierungsbedarf von rund 400 Brücken pro Jahr ab 2026, wenn die Erneuerung innerhalb von zwei Jahrzehnten abgeschlossen werden soll.  

Die Gesamtfläche aller Bundesfernstraßenbrücken beträgt rund 31 Millionen Quadratmeter mit einer Gesamtlänge von circa 2.150 Kilometern. Spannbetonbrücken haben mit rund 70 Prozent den mit Abstand größten Anteil am Bestandsnetz, gefolgt von Brücken mit Stahlbetonbauweise (rund 17 Prozent). Weitere Bauweisen, wie beispielsweise Mauerwerksbrüche, kommen deutlich weniger vor (BMDV, 2022). In der derzeitigen Baupraxis kommt sowohl bei Spann- als auch bei Stahlbetonbrücken in der Regel emissionsintensiver CEM-I-Zement mit hohem Klinkeranteil zum Einsatz. Technisch möglich ist jedoch auch der Einsatz von CO2-ärmerem Zement, beispielsweise CEM II/C-M, CEM II/A-S und CEM III/B. Diese Zemente sind aufgrund ihres geringeren Klinkeranteils emissionsärmer.  

Brückeninfrastruktur: Umfang, Modernisierungsbedarf und verbautes Material, 2025

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Fortsetzung: Stahl und Zement für Brücke und Schiene

Das Schienennetz in Deutschland umfasst rund 39.200 Kilometer. Der größte Netzbetreiber ist die Deutsche Bahn mit 33.440 Kilometern (Allianz pro Schiene, 2025). Derzeit sind davon 17.636 Kilometer – also rund 45 Prozent der gesamten deutschen Schieneninfrastruktur – sanierungsbedürftig (Tagesschau, 2024). Das heutige Schienennetz besteht im Wesentlichen aus konventionellem Primärstahl aus der emissionsintensiven Hochofenroute (Öko-Institut, 2013). Es gibt jedoch auch europäische Hersteller, die Schienenstahl auf Basis von klimafreundlicherem Sekundärstahl herstellen. Im Schienennetz der Deutschen Bahn sind je nach Einsatzbereich verschiedene Schienentypen verbaut, für deren Bau und Instandhaltung je nach genormtem Profil (bspw. S49, S54, UIC60) unterschiedliche Mengen an Stahl benötigt werden (Öko-Institut, 2013). Für die Modernisierung des Schienennetzes ergibt sich ein Stahlbedarf von rund 130.000 Tonnen Stahl pro Jahr (eigene Berechnungen basierend auf Öko-Institut, 2013 und ZDF, 2025). 

Schieneninfrastruktur: Umfang, Modernisierungsbedarf und Schienentypen, 2025

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Fortsetzung: Stahl und Zement für Brücke und Schiene

Wenige Unternehmen dominieren den europäischen Markt für die Schienenstahlproduktion. Ihre Transformationspläne unterscheiden sich deutlich und die sich daraus ergebenden Verfügbarkeiten an klimafreundlichem Stahl beeinflussen die Ausgestaltung von Instrumenten zur Sicherung der Nachfrage: 

  • ArcelorMittal hat vorerst seine Pläne für die Umstellung auf eine CO2-arme Stahlproduktion in Europa verschoben; betroffen sind auch die Pläne zur Umstellung auf DRI-EAF-Anlagen (Direktreduktionsanlage, DRI; Elektrolichtbogenofen, EAF) in Bremen und Eisenhüttenstadt (ArcelorMittal, 2025). 
  • Der aktuelle Stand der Transformation des Schienenstahlherstellers British Steel ist unklar, nachdem das Unternehmen im April 2025 vorübergehend unter staatliche Verwaltung gestellt wurde. Zeitweise war eine Umstellung auf eine EAF-Produktion am Standort Scunthorpe geplant, doch zunächst sollen die Hochöfen weiterlaufen (GMK, 2025; BBC, 2025). 
  • Saarstahl stellt über das Tochterunternehmen Saarstahl Rail Schienen auf der EAF-Route in Frankreich her. Laut eigenen Angaben kann das Unternehmen bereits heute Stahlschienen in der LESS-Label-Kategorie C (mit einer Emissionsreduktion von 70 Prozent) liefern (Saarstahl, 2025); die jährliche Produktion beträgt über 300.000 Tonnen(Saarstahl Rail, 2025).
  • Voestalpine produziert Schienenstahl im Werk Donawitz. Der Transformationsplan des Unternehmens sieht die Inbetriebnahme eines mit Grünstrom betriebenen EAF in Donawitz ab 2027 vor. Durch die Integration des EAFs in die Stahlproduktion sollen bis 2029 rund 30 Prozent der Emissionen im Vergleich zu 2019 eingespart werden. Mit dem EAF kann Voestalpine nach erfolgreichem Hochlauf jährlich 850.000 Tonnen Stahl in Donawitz herstellen (Voestalpine, 2024). Da es sich um grünstrombetriebenen Elektrolichtbogenöfen handelt, wird die LESS-Label-Kategorie Kategorie C angenommen. 

Emissionsarmer Schienenstahl: Angebot und Nachfrage

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3. Wer beschafft Beton und Stahl für Brücke und Schiene?

Eine vielfältige Akteurslandschaft prägt die Beschaffung von Grundstoffen für die Brücken- und Schieneninfrastruktur. Bei der Ausgestaltung von Leitmarktinstrumenten ist es daher wichtig, diese Struktur der handelnden Akteure zu berücksichtigen. Eine besondere Rolle kommt dabei der Deutschen Bahn und der Autobahn GmbH zu, da sie einen großen Teil der öffentlichen Beschaffung für die Schienen- und Brückeninfrastruktur verantworten.  

Sowohl die Deutsche Bahn als auch die Autobahn GmbH haben sich eigene Klimaziele gesetzt. Die Deutsche Bahn hat sich verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen über die gesamte Wertschöpfungskette (Scope 1 bis 3) bis 2040 auf Netto-Null zu reduzieren. Scope 1, 2 und 3 beschreiben unterschiedliche Kategorien von Treibhausgasemissionen eines Unternehmens: Scope 1 umfasst direkte Emissionen aus eigenen Anlagen, Scope 2 indirekte Emissionen aus eingekaufter Energie, und Scope 3 alle weiteren indirekten Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Die Beschaffung von klimafreundlichem Stahl und Zement ist dabei ein wichtiger Hebel für die Reduktion der Scope 3 Emissionen. Die Klimaziele wurden von der Science Based Targets Initiative (SBTi) bestätigt und die Dekarbonisierungsstrategien anhand eines wissenschaftsbasierten Net-Zero-Standards bewertet (Deutsche Bahn, 2025). Die Autobahn GmbH strebt an, ihre Scope-3-Emissionen – also die Emissionen des eingesetzten Stahls und Zements – bis 2045 auf null zu reduzieren (Autobahn GmbH, 2025). 

Bauaufträge werden häufig an große Bauunternehmen vergeben, die sich ihrerseits konzernweite Klimaziele gesetzt haben. So haben sich Unternehmen wie beispielsweise Strabag oder Vinci explizit Klimaziele für ihre Wertschöpfungsketten gesetzt: Strabag möchte seine Scope-3-Emissionen bis 2030 um 25 Prozent (mit 2023 als Basisjahr) reduzieren (Strabag, 2025), Vinci bis 2030 um 20 Prozent im Vergleich zu 2019 (Vinci, 2024). Damit solche Bauunternehmen ihre konzernweiten Klimaziele erreichen können, braucht es ein regulatorisches Umfeld, das den Einsatz klimafreundlicher Grundstoffe in Infrastrukturprojekten ermöglicht. 

Dass eine klimafreundliche Modernisierung der Brücken- und Schieneninfrastruktur grundsätzlich gelingen kann, zeigen Beispiele und Pilotprojekte aus der Praxis:  

Saarstahl Rail hat mit dem französischen Staatsunternehmen SNCF Réseau einen langjährigen Liefervertrag über CO2-reduzierte Schienen abgeschlossen, die in einem EAF-Verfahren hergestellt werden. Laut Vertragspartnern lassen sich so jährlich 200.000 Tonnen CO2 einsparen (Saarstahl, 2025).  

Die Autobahn GmbH hat den Überbau der Autobahnüberführung B 39 an der A 6 (Anschlussstelle Schwetzingen/Hockenheim) erneuern lassen und dabei erstmals verbindliche CO2-Vorgaben beim Brückenbau umgesetzt. Dabei kam CO2-reduzierter Beton gemäß Concrete Sustainability Class (CSC) Level 3 mit einem emissionsarm hergestellten Zement (CEM III/B) zum Einsatz. Dieser verursacht rund 50 Prozent weniger CO2 als der Branchenreferenzwert im CSC. Vorgabe war, Beton mit mindestens 30 Prozent weniger CO2 als üblich einzusetzen (Heidelberg Materials, 2025). 

Beschaffungsprozess für Brücken: Verantwortlichkeiten, Prozesse, Finanzierungsflüsse

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4. Aktueller Rechtsrahmen für klimafreundliche Vergabe

Die öffentliche Beschaffung hat in den vergangenen Jahren zunehmend an strategischer Relevanz gewonnen. Auf deutscher wie auf europäischer Ebene gilt sie als wichtiger Hebel für eine klimafreundliche Nachfrage. Dabei kann die öffentliche Hand einerseits die Effizienz ihrer Ausgaben gewährleisten und andererseits ihrer Vorbildrolle und Verantwortung in ihrem Konsumverhalten gerecht werden. Für den klimaneutralen Umbau von Grundstoffindustrien, der mit hohen Investitionen verbunden ist und auf eine verlässliche Nachfrage angewiesen ist, kann die öffentliche Hand die erste Nachfrage schaffen – bislang fehlen dafür allerdings konkrete und verpflichtende Vorgaben. Diese gilt es im Rahmen aktueller politischer Möglichkeitsfenster und Gesetzgebungsprozesse umzusetzen.  

Relevante Prozesse auf europäischer Ebene: 

  • Leitmärkte für klimafreundliche Industrieprodukte sind eine der zentralen Prioritäten im Rahmen des Clean Industrial Deal und im Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für 2026. Der für November 2025 geplante Industrial Accelerator Act sollte genutzt werden, um ein freiwilliges Label für CO2-Intensität von Stahl auf Grundlage der – auch für LESS maßgeblichen – Sliding Scale einzuführen sowie CO2- und Nachhaltigkeitskriterien über das öffentliche Beschaffungswesen anzuwenden.
  • Die Public Procurement Directive bildet den Rechtsrahmen für die Anforderungen an die öffentliche Beschaffung. Im Rahmen der Überarbeitung im Jahr 2026 sollte das bislang allein ausschlaggebende Preiskriterium um weitere, Nachhaltigkeitskriterien ergänzt werden.  
  • Die Bauprodukteverordnung (Construction Products Regulation, CPR) schafft verbindliche ökologische Anforderungen an Bauprodukte im Kontext der öffentlichen Vergabe. Zudem sind Zementhersteller verpflichtet, Informationen über die Emissionsintensität ihrer Produkte in Form von Environment Product Declarations (EPDs) vorzulegen.
  • Über die Ökodesign-Verordnung (Ecodesign for Sustainable Products Regulation, ESPR) werden voraussichtlich im Jahr 2027 Anforderungen an die Lebenszyklusemissionen von Stahlprodukten verabschiedet. Stahlprodukte, die im Rahmen der öffentlichen Vergabe eingesetzt werden, müssen künftig den neuen Ökodesign-Anforderungen entsprechen. 

Auf deutscher Ebene gibt es ebenfalls Ansätze, die öffentliche Beschaffung auf Nachhaltigkeit auszurichten: 

  • Nach § 13 des Bundesklimaschutzgesetzes (KSG) sollen öffentliche Auftraggeber bei der Planung und Umsetzung von Beschaffungsmaßnahmen prüfen, inwiefern diese zur Erreichung der nationalen Klimaziele beitragen können.
  • Auf Bundesebene verpflichtet die Allgemeine Verwaltungsvorschrift Klima (AVV) Vergabestellen dazu, bei Beschaffungen die Treibhausgasemissionen über den gesamten Lebenszyklus zu analysieren und sie mithilfe eines CO2-Schattenpreises bei der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung und der Zuschlagsentscheidung zu berücksichtigen – soweit dies mit vertretbarem Aufwand möglich ist (BMWK, 2024).
  • Alle Bauvorhaben des Bundes im Wert von über zwei Millionen Euro müssen seit 2013 den Silber-Standard des Bewertungssystems Nachhaltiges Bauen (BNB) erfüllen. Dazu gehört auch eine Lebenszyklusanalyse.
  • Ein Konzeptpapier des BMWK zu Leitmärkten für klimafreundliche Grundstoffe von 2024 liefert Definitionen und Label für klimafreundliche Grundstoffe wie Stahl und Zement für die Umsetzung klimafreundlicher Beschaffungsregelungen (BMWK, 2024).
  • Einige Bundesländer, wie zum Beispiel Baden-Württemberg, nutzen bereits CO2-Schattenpreise in der Beschaffung, Fokussektor und Höhe des Schattenpreises variieren jedoch (Bertelsmann Stiftung und FÖS, 2025). 

Auch wenn die bestehenden Maßnahmen in die richtige Richtung gehen, entfalten sie in der Praxis begrenzte Lenkungswirkung. Nur bei rund zwölf Prozent der öffentlichen Aufträge werden soziale, innovations- oder umweltbezogene Kriterien angewendet (BMWK, 2023). Das liegt auch an einer Reihe projektbezogener und personeller Herausforderungen. Diese Herausforderungen sollten deshalb bei der Ausgestaltung künftiger Zielvorgaben in der öffentlichen Beschaffung adressiert werden, um eine effektive Umsetzung zu ermöglichen. 

Hemmnisse für die klimafreundliche öffentliche Vergabe

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Fortsetzung: Aktueller Rechtsrahmen für klimafreundliche Vergabe

Mit dem Vergabebeschleunigungsgesetz soll nun neue Bewegung in die Sache kommen: Der Gesetzesentwurf sieht unter anderem eine Verordnungsermächtigung vor, um Änderungen am Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) zu ermöglichen und dort klimapolitische Vorgaben zu verankern. Wichtig ist, dass diese Verordnung zeitnah umgesetzt wird und stringente, klare Vorgaben für den Einsatz klimafreundlicher Grundstoffe festlegt.  

5. Instrumente zur Sicherung klimafreundlicher Nachfrage: Worauf kommt es bei der Ausgestaltung an?

Um von der politischen Zielsetzung zu einer gesicherten Nachfrage zu gelangen, kommen verschiedene Maßnahmen infrage. Wir betrachten in dieser Analyse CO2-Schattenpreise, Quoten und CO2-Produktgrenzwerte als Instrumente für eine klimafreundliche Nachfrage.  

  • CO2-Schattenpreise versehen die Emissionen eines Projekts mit einem fiktiven CO2-Preis. Dieser Preis fließt in die Berechnung der Kosten mit ein und lässt so klimafreundliche Materialien im Vergleich zu CO2-intensiven günstiger werden.
  • Quoten schreiben einen klimafreundlichen Mindestanteil in Endprodukten aus CO₂-intensiven Grundstoffen vor.   
  • CO2-Produktgrenzwerte setzen verbindliche Grenzwerte für die Gesamtmenge an materialbezogenen CO₂-Emissionen. Diese können sukzessive gesenkt werden, bis sie schließlich ein mit Klimaneutralität vereinbares Niveau erreichen.  

Sowohl Quoten als auch CO2-Produktgrenzwerte sind im Koalitionsvertrag 2025 der Bundesregierung als angestrebte Maßnahmen zur Umsetzung von grünen Leitmärkten erwähnt. Ein ideales Leitmarktinstrument würde mehrere Ziele gleichermaßen bedienen: Es würde ein starkes Nachfragesignal für klimafreundliche sowie nahezu emissionsfreie Grundstoffe setzen, bürokratiearm umsetzbar sein und Materialeffizienz und Recycling anregen. In der Praxis erfüllt jedoch keines der untersuchten Instrumente all diese Ziele vollständig – die Implementierung ist stattdessen jeweils mit Trade-offs verbunden. 

Leitmarktinstrumente im Vergleich

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Fortsetzung: Instrumente zur Sicherung klimafreundlicher Nachfrage: Worauf kommt es bei der Ausgestaltung an?

Die Auswahl und Ausgestaltung der Instrumente hängen letztlich auch von der Verfügbarkeit klimafreundlicher Grundstoffe ab. Dabei spielen insbesondere folgende Aspekte eine zentrale Rolle: 

  • Zeitrahmen: Die Einführung und das Ambitionsniveau der Leitmarktinstrumente müssen zum real verfügbaren Angebot an klimafreundlichem Stahl und Beton – mit den spezifischen technischen Anforderungen für Brücke und Schiene – passen. Kurzfristig können sich die Kriterien nur an den aktuell verfügbaren Volumen orientieren. Mittelfristig sollten jedoch ambitioniertere Anforderungen an die klimafreundliche Beschaffung festgelegt werden, um Transformationsentscheidungen von Industrieanlagen durch verlässliche Nachfrage zu stützen.  
  • Umfang der Marktabdeckung: Auf Basis einer Analyse des Marktumfelds und der Transformationspläne relevanter Unternehmen sollte überprüft werden, in welchem Umfang das Angebot klimafreundlicher Produkte die Gesamtnachfrage in der kurzen und mittleren Frist decken kann. Decken die Transformationspläne von Stahl- und Zementherstellern für Schiene und Brücke nur einen kleinen Teil der Gesamtnachfrage, können Quoten ein geeignetes Mittel sein. Reicht das Angebot hingegen aus, um die Gesamtnachfrage zu decken, sind ganzheitliche CO2-Produktanforderungen angemessen.
  • Emissionsintensität: Leitmarktinstrumente sollten ihr Ambitionsniveau einerseits an der Emissionsintensität orientieren, die sich aus den Transformations- und Investitionsplänen der Unternehmen ergibt. Andererseits sollten die Anforderungen das klimapolitisch notwendige Ambitionsniveau reflektieren. Transformationspläne der Unternehmen können durch Leitmarktinstrumente regulatorisch ermöglicht und abgesichert werden. 
  • Regionale Verfügbarkeit: Insbesondere bei regional oder lokal gehandelten Grundstoffen wie Zement und Beton sind die Verfügbarkeiten von Einsatzstoffen entscheidend. Deshalb ist eine Implementierung wichtig, die es ermöglicht, CO2-bezogene Anforderungen auf verschiedene Weise zu erfüllen (zum Beispiel über Anforderungen auf Beton- statt auf Zementebene).
  • European Content: Eine Analyse des Marktumfelds für klimafreundliche Stahl- und Betonprodukte ist erforderlich, um die Machbarkeit von European-Content-Vorgaben im Kontext von Brücke und Schiene zu prüfen. Zugleich müsste bewertet werden, ob einzelne Hersteller durch Leitmarktinstrumente Marktmacht erlangen könnten, wenn sie die Anforderungen allein oder in einem sehr begrenzten Wettbewerbsumfeld erfüllen. 

  

6. Handlungsempfehlungen für grüne Leitmärkte in der öffentlichen Beschaffung der Schiene und Brücke

Auf Basis der Analyse und Interviews mit Abnehmern und Marktteilnehmern lassen sich folgende Handlungsempfehlungen für technisch mögliche CO2-Produktgrenzwerte herleiten. Wir empfehlen jeweils einen kurzfristigen CO2-Produktgrenzwert, der sich an der vorherrschenden Produktionstechnologie orientiert, sowie einen ambitionierten Zielwert für 2030. Dieser kann um eine Quote ergänzt werden, um Vorreiter-Unternehmen der Stahl- und Zementbranche Absatzmärkte zu bieten. Diese Quote leitet sich aus Investitionszyklen und Transformationsplänen der Unternehmen her. Stahlunternehmen der Sekundärroute können diese Quoten durch Einkauf von Grünstrom erfüllen, Zementunternehmen durch Investitionen in Carbon Capture – Technologien.  

Für die Schiene: 

  • CO2-bezogene Anforderungen sollten auf Basis des LESS-Labels und dessen Schwellenwerten festgelegt werden:
    • Kurzfristig sollte der CO2-Produktgrenzwert der LESS-Label-Kategorie C implementiert werden. Europäische Stahlproduzenten können die Nachfrage nach klimafreundlichen Schienen der LESS-Label-Kategorie C vollständig bedienen.
    • Ab 2030 sollte LESS-Label-Kategorie B verpflichtend werden, um eine verlässliche künftige Nachfrage nach grünem Stahl zu schaffen.
    • Ergänzende Quote ab 2030: Etwa 20 Prozent Schienenstahl sollten aus der LESS-Label-Kategorie A kommen. 

Für die Brücke: 

  • Klimakriterien sollten für Beton statt für Zement festgelegt werden. Beton wird von Unternehmen beschafft und bietet mehr Flexibilität bei der Erfüllung der Anforderungen: So kann ein CO2-Produktgrenzwert für Beton beispielsweise durch den Einsatz von CO2-armen und innovativen Zementen oder durch eine Reduktion des Zementanteils im Beton erreicht werden.
  • Anforderungen für die Modernisierung der Brückeninfrastruktur sollten auf bestehenden Labelsystemen aufsetzen, wie dem Label des Concrete Sustainability Council (CSC) und dem LESS-Label für Stahl.
    • Kurzfristig ist für Beton ein CO2-Produktgrenzwert entsprechend CSC-Level 1 technisch möglich. Dies entspricht einer CO2-Minderung von rund 30 Prozent gegenüber dem aktuellen Branchenreferenzwert in der jeweiligen Festigkeitsklasse. Für Stahl sollte kurzfristig das LESS-Kategorie B implementiert werden. Ergänzend kann sofort ein CO2-Schattenpreis nach UBA-Empfehlung umgesetzt werden, um zusätzlich Materialeffizienz auf Projektebene anzuregen.
    • Ab 2030 kann der CO2-Produktgrenzwert entsprechend dem CSC-Level 3 beziehungsweise der Cement Carbon Class (CCC) Kategorie B nachgeschärft werden, um eine planbare künftige Nachfrage für Transformationspläne zu schaffen. Für Stahl sollte LESS-Kategorie A verbindlich gelten.
    • Ergänzende Quote ab 2030: Etwa 10 Prozent Zement der CCC-Klasse “Near Zero“ (abhängig von regionaler Verfügbarkeit). 

Das Fazit: Jetzt ist der ideale Zeitpunkt, grüne Leitmärkte entschlossen umzusetzen. Mit dem Sondervermögen Infrastruktur und Klimaschutz sind die notwendigen Infrastrukturinvestitionen finanziell abgesichert, das Vergabebeschleunigungsgesetz schafft die rechtliche Grundlage für die Integration von Klimakriterien in öffentlichen Ausschreibungen. Gleichzeitig ebnet die Vorreiterrolle der deutschen Stahl- und Zementindustrie bei der Einführung von CO2-Labels den Weg für eine praxisnahe und bürokratiearme Umsetzung. Die zentralen Bausteine sind vorhanden – und sollten zeitnah in bindende Nachfrage für grünen Stahl und Zement in der öffentlichen Beschaffung übersetzt werden. Das stärkt Planungssicherheit und einen Business Case für die Industrie in der Transformation. 

Quellenverzeichnis

Bibliographische Daten

Autor:innen
Helen Rolfing, Aylin Shawkat, Theo Winkels
Versionsnummer
1.0
Veröffentlichungsdatum

12. November 2025

Projekt
Diese Publikation wurde erstellt im Rahmen des Projektes Grüne Leitmärkte im Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität.

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